zwischenmenschlichen Bindungen. Mädchen und Frauen schützen Bindungen vor allem durch Fürsorge und Empathie. Jungen und Männer wollen nach auÃen beschützen. Dies ist der Grund, warum Jungen sich danach sehnen, ihren Mut und ihre Kräfte zu erproben. Sie wollen lernen, gute Beschützer zu sein. Dabei sollten ihnen vor allem die Väter helfen. Nachdem für Jungen immer weniger Gelegenheiten zur Verfügung stehen, sich z. B. in Sportvereinen, auf dem FuÃballplatz oder bei Unternehmungen mit Abenteuercharakter als Beschützer auszuprobieren, spielen die virtuellen Ersatzwelten der Videospiele eine immer gröÃere Rolle.Was die Jungen hier »lernen«, sind allerdings häufig keine Hilfen bei der Reifung zum Mann, sondern Trainingsprogramme für Brutalität und Sadismus.
Der Verlust von Bindungen (Ablösung aus dem Elternhaus, Trennung von Partnerschaften, Entlassung am Arbeitsplatz) ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens, Bindungsverluste machen einen Menschen zugleich aber auch besonders verletzlich. Drohende oder tatsächliche Trennungen, die einem Menschen gegen den eigenen Willen widerfahren, sind ein erstrangiger Auslöser für Aggression bis hin zu schweren Gewalttaten. Deshalb sollte allen Beteiligten eines Trennungsprozesses daran gelegen sein, begleitende Demütigungen zu vermeiden und alles zu tun, was den Trennungsschmerz abmildern kann.
Die Aggression ist ein soziales Regulativ, sie soll uns zur Verfügung stehen, wenn wir uns wehren müssen. Die Rolle als Korrekturfaktor zur Beseitigung einer Störung kann die Aggression jedoch nur dann spielen, wenn sie ihre Aufgabe als kommunikatives Signal erfüllt. Dies bedeutet, sie muss
für den Adressaten verständlich sein. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie sich verbaler Mittel bedient. Aggression, die ihren kommunikativen Auftrag erfüllt, ist konstruktiv, andernfalls ist sie destruktiv und begünstigt das Entstehen von Gewaltkreisläufen.
Wer körperliche oder seelische Verletzungen durch andere erlitten hat, sollte für sich keine Opferrolle kultivieren, sondern eine Reaktion zeigen und sich der fälligen Auseinandersetzung stellen (dabei kann die vermittelnde Hilfe Dritter notwendig sein). Dort, wo Konflikte zu einem destruktiven Aggressionskreislauf zu werden drohen, hilft oft nur eine frei gewählte Trennung vom Gegner. Ein weiterer, bedeutender Ausweg aus nicht lösbar erscheinenden Konflikten ist die Vergebung 364 (sie ist jedoch eine nicht allen geschenkte Fähigkeit).
Politische Perspektiven
Eine Reflexion der politischen Bedeutung dessen, was Neurobiologen zur Aggression zu sagen wissen, bedeutet keine illegitime Invasion der Biologie in politisches Terrain. Diese Invasion hat schon lange stattgefunden. Rassistische Konzepte, die Unterscheidung von Menschen mit »guten« und weniger guten Genen, »Aggressionstrieb« und »egoistische Gene«: Diese seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach aus der Biologie in die Politik getragenen Konzepte hatten immense politische Auswirkungen. »Aggressionstrieb« und »egoistische Gene« sind Theorien, die â obgleich sachlich unhaltbar 365 â perfekt in das derzeitige globale Wirtschaftssystem eines ungebremsten Raubtierkapitalismus passen.
Ausgrenzungserfahrungen sind nicht nur im privaten Umfeld möglich, sie können auch Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens sein. Länder ohne demokratische Strukturen grenzen bereits durch diesen Mangel groÃe Teile ihrer Bevölkerung aus. Aber auch in Demokratien kann es, z. B. wenn sie ausschlieÃlich repräsentativ funktionieren wie in Deutschland, zu einem Mangel an Partizipation kommen. Besonders starke Ausgrenzungserfahrungen ergeben sich in einem Land jedoch aus der konkreten Ungleichverteilung von Chancen. Insbesondere Armut im Angesicht von Wohlstand anderer ist eine Ausgrenzungserfahrung ersten Ranges.
Dem Gesetz der Schmerzgrenze
Christiane Shoenhair, Liam McEvilly